Kundgebung Hildegardplatz Kempten, 23.05.20

Am Samstag den 23.05.20 gab es anlässlich des europaweiten Aktionstags im Rahmen der Kampagne #LeaveNoOneBehind der Seebrücke unter dem Motto „Evakuiert alle Lager!“ eine gemeinsame Kundgebung unterschiedlicher Initiativen in Kempten. Der Protest richtete sich außerdem ausdrücklich gegen die seit Wochen stattfindenden „Grundrechte-Demos“ auch in Kempten und somit gegen den Zusammenschluss mit rechten Akteur*innen.

Neben der Seebrücke Kempten waren der mehrfache Sea-Eye und Lifeline Kapitän, Thomas Nuding, Fridays For Future Kempten, das selbstverwaltete Jugendzentrum react!OR, die Initiative „Kempten gegen Rechts“ und weitere Aktive an der Kundgebung mit Redebeiträgen zu verschiedenen Themen vor Ort.

Hier die Pressemitteilung dazu:

„Am Samstag fand auf dem Hildegardpaltz ein Protest in Form einer Kundgebung mit einigen außergewöhnlichen „Demonstrant*innen“ statt. Der Protest richtete sich einerseits gegen die „Corona-Rebellen“, deren „Meditations-Demonstrationen für die Wiederherstellung der Grundrechte“ wegen Wind und Regen kurzfristig abgesagt wurde. Gleichzeitig übte der Protest eine andere Art der Kritik an den momentanen und auch den allgemeinen bestehenden Verhältnissen. Ergänzend dazu stand die Kundgebung im Zeichen des europaweiten Aktionstages der Seebrücke im Rahmen der Kampagne #LeaveNoOneBehind (Niemanden zurücklassen) für die sofortige Evakuierung der Geflüchteten-Lager.

„Zum Einen stehen wir hier, um den seit einigen Wochen stattfindenden sogenannten […] „Demonstrationen für die Grundrechte“ etwas entgegen zu setzen, da wir hier mehr problematische Inhalte feststellen konnten als sinnvolle, differenzierte, konstruktive Kritik an den bestehenden Corona-Maßnahmen […]. Zum Anderen ist diese Kundgebung Teil des europaweitern Aktionstages der Seebrücke und deren Kampagne #LeaveNoOneBehind“, so die einleitenden Worte einer Rednerin, die weiter erklärt „Wir nehmen die Krise sehr ernst und wollen einen verantwortungsvollen Umgang damit“.

Im ersten Redebeitrag von ‚react!OR‘ und der Initiative ‚Kempten gegen Rechts‘ wurde ein 10minütige klare Kritik an den „Grundrechte-Demos“ ausformuliert. Die konsequente Verharmlosung des ‚Corona-Virus‘, Verbreitung von Verschwörungsideologie und Fake-News, antisemitische Ressentiments, das gemeinsame Protestieren mit und die fehlende Abgrenzung zu rechten Positionen und Akteur*innen, wie z. B. Reichsbürger*innen, und die sich aus all dem ergebende Problematik und Gefahren, wurden in diesem Statement ausführlich mit vielen Beispielen beleuchtet. Der Beitrage endete mit den Worten „Bleibt solidarisch, bleibt kritisch und zeigt klare Haltung gegen Rechts – Leave no one behind!“.

Entsprechend diesem Motto, wurde auch die Situation von Geflüchteten bei der Kundgebung mehrfach thematisiert. Fridays For Future beispielsweise verknüpften den Anspruch an grenzenlose Solidarität während der globalen Krise, mit der weiteren Anstehenden Klima-Krise. „Niemanden zurücklassen“ in Bezug auf Klimaschutz und Klimagerechtigkeit bedeute zum einen „alle Menschen einzubeziehen und sie zu ermutigen, Teil der Lösung zu sein und alle Menschen, die unter den bisherigen oder zukünftigen Folgen des Klimawandels leiden, zu unterstützen und bei einer Lösung zu berücksichtigen. Lassen wir niemanden zurück!“ war die abschließende Forderung der Klima-Aktivist*innen, die bereits am Vortag eine Klima-Protestaktion mit Plakaten auf der Residanzplatz-Wiese veranstalteten.

Mehrfacher Kapitän der Seenotrettungs-Organisation Sea Eye e.V. und Mission Lifeline e.V. sowie Mitinitiator der „Yachtfleet“, Thomas Nuding aus Messkirch, der mit seinen Crews zusammen über 3000 Geflüchteten das Leben rettete, hielt bei der Kundgebung ebenfalls eine bewegende Rede zum Umgang mit Menschen, die nach Europa fliehen.

Mit einem aufrüttelnden Erfahrungsbericht eines Geflüchteten aus dem Sudan, gab Nuding ein Beispiel, das „stellvertretend für alle Menschen, deren Geschichten im Mittelmeer ‚untergehen‘“. In seiner Rede besteht er eindringlich auf die Einhaltung geltender Gesetze und erklärt, warum – nicht nur – Kempten „logischerweise“ zum sicheren Hafen erklärt werden muss. „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich, ich wiederhole: Jeder heißt nicht nur jeder Deutsche!“ mahnt er und bezieht sich dabei auf das deutsche Grundgesetz. Er zitiert außerdem „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden“ aus der europäischen Menschrechtskonvention und ergänzt „Das heißt explizit auch: Keine Rückführung in Länder in denen das den Menschen droht“. Schließlich nimmt Nuding bezug auf das am höchsten gestellte UN-Völkerrecht und nimmt damit die deutsche Regierung, Minister Horst Seehofer und auch die Stadt Kempten mit in die Verpflichtung, geflüchteten Menschen Schutz und Sicherheit zu bieten.

Nudings Rede folgte ein Appell der Seebrücke Kempten, der die Situation von Geflüchteten in den Lagern an den europäischen Außengrenzen und hierzulande allgemein und im Kontext der derzeitigen Krise schildert, Missstände in der Asylpolitik aufzeigt und erklärt, warum Kempten zum sicheren Hafen erklärt werden soll. „Kempten zum sicheren Hafen zu erklären und die damit einhergehende Solidarisierung mit allen Geflüchteten und deren Unterstützer*innen, wäre außerdem eine klare Absage an AfD, deren Anhänger*innen und sämtliche andere rechte Kräfte“, so die Aktivist*innen.

Auch das Thema Feminismus wurde bei der Kundgebung aufgegriffen. „Obwohl wir schon lange für Gleichberechtigung kämpfen, haben wir sie immer noch nicht erreicht. Corona zeigt uns: Wir bewegen uns sogar rückwärts“ und „Corona als Brennglas für das, was schiefläuft“ mahnt die Verfasserin der Rede und bezieht sich dabei auf Gewalt gegen Frauen und nicht binär geschlechtliche Menschen, die im Zuge der Krise stark sichtbar werden. „Wir haben Blumen verschenkt aus Dankbarkeit – an die Frauen, die den Laden gerade am Laufen halten. Aber von Blumen kann man nicht die Miete zahlen. Mit Blumen kann man keine Kinder betreuen und Blumen schützen nicht vor Gewalt. Wir wollen keine Blumen, wir wollen gleiche Rechte.“ fordert die Redner*in.

Abschließend schilderte ein Beitrag zum Thema Systemrelevanz die momentane Situation von Pflegepersonal und deren erschwerte Arbeitsbedingungen, sowie die psychische und körperliche Belastung, der sie ausgesetzt sind. „Über die Aufwertung der sozialen Berufe und anderer Arbeitsstellen, die das Land am Laufen halten, wird dringend zu reden sein. Damit die Stimme der Betroffenen gehört wird, werden wir uns noch mehr und noch besser organisieren müssen.“ wird in der Rede erklärt. Sie kritisiert darüber hinaus außerdem ganz deutlich: „es ist notwendig hier Präsenz zu zeigen gegen eine Bewegung in der extreme Gruppierungen und Verschwörungstheoretiker die Verunsicherung und Ängste der Menschen instrumentalisieren um darauf ihre braune Suppe zu kochen. … Wenn diese Auflagen als Diktatur bezeichnet werden, ist dies ein Hohn für alle Menschen, die unter einer wirklichen Diktatur leben mussten oder noch immer leben.“ und bezieht sich dabei auf die bundesweit stattfinden „Grundrechte-Demos“, die das Corona-Virus verharmlosen und die getroffenen Maßnahmen mit der Errichtung einer vermeintlichen Diktatur bewerten.

Die Kundgebung endete um 16.30 Uhr. Um eine weitere große Menschenansammlung auf dem Hildegardplatz zu vermeiden, wurde die Kundgebung von den Verantwortlichen selbst auf 10 aktive Teilnehmende beschränkt. Weitere Teilnehmende wurden stattdessen symbolisch von 8 Holz-Demonstrant*innen ersetzt.“